1. Kapitel, Ein schöner
Brief
Es
war einst eine schöne Frau,
die
wandte sich zum Welken.
Sie
sah im Spiegel ganz genau,
um
ihre Augen Fältchen.
Was
blieb, war ihr Pupillenglanz
aus
jugendlichen Tagen,
der
blieb ihr treu, den hielt sie ganz,
der
ließ sich schicklich tragen.
Sie sah sehr gern zum Fenster raus,
derweil
die Welt ergraute.
Ein
Mann ging täglich vor dem Haus
vorbei,
er grüßte, schaute.
Er
nickte ihr und hob die Hand
sein
Winken traf sie zärtlich.
Sie
liebte das, doch ach, sie fand,
sich
zunehmend entbehrlich.
Sie
welkte wie ein Rosenblatt
dahin
in kalten Stunden.
Sie
fühlte sich vom Leben matt,
ihr
Glück schien ihr entschwunden.
Doch
eines Tages kam ein Brief
voll
zärtlicher Gedanken.
Der
Postmann bracht’ ihn, als sie schlief,
sein
Inhalt ließ sie wanken.
Ein
unbekannter Lebemann
besang
sie kühn, gediegen.
Ihr
Dichterherz erlag, gewann,
ihr
Pulsschlag wollt’ versiegen.
2. Kapitel, Briefe und
Gedichte
Der
erste Brief war anonym,
der
zweite eher ungestüm,
der
dritte rührte jedes Herz,
der
vierte zeigte Lebensschmerz.
Die
reife Frau ließ alle auf sich wirken,
sie
fragte sich: Wer will mich so bemerken?
Der
Dichter zeigte sich nicht gleich,
die
Muse schien ihm viel zu reich.
Erlag
er auch der schönen Frau,
so
wusste er doch zu genau:
Nur
menschliche Begegnung ebnet Wege,
drum
schickte er ihr bald sein Bild, verlegen.
Das
Musenherz, erwärmte sich,
sie
schrieb zurück, besang ihr ich,
Kein
Tag strich wortlos mehr dahin,
das
Leben floss im neuen Sinn.
Der
Dichter trat vernehmlich aus dem Schatten,
die
reife Frau begann ihn zu erwarten.
3. Kapitel,
Verjüngungskur
Sie
sah sich neu im Spiegel an,
die
Frau mit den Gedichten.
Der
Dichter brach den Altersbann,
die
Falten, sie entwichen.
Kein
Make-up hätte das geschafft,
nicht
Heilkraut oder Pharmazie,
Die
Haut der Frau ward neu gestrafft,
gedieh
in frischer Harmonie.
Sie
strahlte aus dem Inneren,
sie
fühlte sich wie neu gebor’n.
Die
Jugend wirkte näher, denn
sie
war als Muse auserkor’n.
In
ihr entstand ein inneres Verlangen,
das
Dichterherz mit Worten einzufangen.
Bald
sah sie aus wie zwanzig Jahr,
erblühte
wie ein Tulpenbaum,
mit
lockig kurzem Strähnenhaar,
erwuchs
des Dichters schönster Traum.
Sie
war für ihn die Zauberfee,
trat
aus dem Sternentor ans Licht,
war
Königin aus Eis und Schnee,
ein
Fabelwesen war sie schlicht.
Das
schreckte ach, das Frauenherz,
das
Fräulein wollte kleiner sein.
Drum
flößte es manch dumpfen Schmerz,
dem
Dichter in die Kehle ein.
Sie
liebte ihn, doch sollte er erkennen,
zu
viel der Leidenschaft vermag zu trennen.
4. Kapitel, Irrungen
und Wirrungen
Sie
schwieg, wenn neue Briefe kamen,
das
warf den Dichter jäh zurück,
entschwinden
sah er bald sein Glück,
ein
Unheil wollt’ er wissend ahnen.
Verloren
schien der Zaubernamen
mit
dem er einst die Frau bestückt,
der
Kummer fraß ihn Stück um Stück,
sie
machte ihn zum Untertanen.
Drum
setzte er mit Feuerworten
was
schon geschrieben stand in Brand.
Wollt’
all die Anmut nicht mehr horten,
Die
einst er bei der Schönen fand.
Es
zog ihn zu entfernten Orten,
beseelt
von hehrem Unverstand.
5. Kapitel, Melancholie
Die
Schöne hielt den letzten Brief in Händen,
sah
ihre Schönheit bröckeln wie Zement.
Der
Dichter wollt’ der Worte Strom beenden,
sie
sah sich von dem Jugendquell getrennt.
Sie
hatte es wohl etwas übertrieben,
als
sie die Stimme nimmermehr erhob.
Die
Stille ließ den Dichter weiter lieben,
doch
fühlte er, wie sich die Welt verschob.
Bekümmert
trat er nun aus ihrem Leben,
und
eilte mit gesenktem Haupt davon.
Die
Schöne sah ihr süßes Glück entschweben,
ein
böses Schicksal lächelte voll Hohn.
Sie
wollt’ den Weg nicht länger beibehalten,
der
einst sie mit dem Dichterfreund verband.
Sie
dachte: „Meister Trübsal, magst du walten,
einst
spült es mir den Dichter an den Strand.“
Am
nächsten Tag, verließ sie ihr Mauern,
und
wandelte durch Straßen ihrer Stadt.
Da
lag ein Blatt, das ließ sie doch erschauern,
am
Boden, das ihr Freund geschrieben hatt’.
Er
suhlte sich darin in seinen Wunden,
bedauerte
sein letztes hartes Wort.
Das
führte sie zurück in schöne Stunden,
die
Stunden ihrer Freundschaft waren fort.
So
schrieb sie ihrem Dichter nur zwei Zeilen
Und
bot ihm ihre Nähe wieder an.
Der
Dichter wollte gern bei ihr verweilen,
das
Angebot entwaffnete galant.
6. Kapitel, Neue Tiefe
Am
Morgen nach dem großen Streit
ergab
sich die Gelegenheit,
dass
zwei sich trafen, die sich gleich erkannten.
Ein
Mann ging vor dem Haus vorbei,
er
winkte täglich, grüßte frei,
derweil
die Frau Gefühle übermannten.
Sie
eilte schnell zur Tür hinaus
schloss
sich dabei beinahe aus -
da
stand er, einen Brief in seinen Händen.
Die
Frau erstarrte, wusste gleich,
das
war der Dichter, fahl und bleich,
er
wankte, suchte sich schnell abzuwenden.
Sie
hielt ihn auf, bat ihn zurück,
er
zögerte beim Weg ins Glück,
doch
wollt’ sie es beim Zögern nicht belassen.
Er
drehte sich zur Muse um,
stand
wie erstarrt, ganz still und stumm,
anstatt
den schönen Glanz der Frau zu fassen.
Ein
Augenblick des Glücks verstrich,
das
Dichterbild, es zeigte sich -
die
Schöne mochte ihn am Blick erkennen.
So
bot sich die Gelegenheit
persönlicher
Verbundenheit,
man
darf das gern „Moment der Liebe“ nennen.
Die
Schöne, sie errötete,
das
Dichterauge nötete,
den Mann vor ihrem Hause zu umarmen.
Er trat zurück und ging davon,
da flossen bitt're Tränen schon,
das Schicksal zeigte keinerlei Erbarmen.
So sahen sie sich jäh getrennt,
obwohl sie sich doch stets ersehnt,
doch Menschen leiden gerne solche Qualen.
Sie gingen einen Schritt zurück,
vermehrten damit noch ihr Glück,
die Liebe sollte später erst erstrahlen.
7. Kapitel, Leidenschaft
Als Wochen verstrichen
und Tage verblichen,
erstarb der Gedanke
an Stunden zu Zweit.
Erinn'rungen wichen,
ein hungriges Siechen
erfasste die Beiden,
verdarb ihre Zeit.
Verpasst schien die Chance,
nur eine Nuance,
ein falsches Verhalten,
der Taumel missglückt.
Der Schönen Balance,
des Dichterworts Trance,
die Zeichen der Liebe -
auf ewig entrückt.
Mit traurigen Mienen,
die hoffnungslos schienen,
mit hängenden Häuptern,
den Boden fixiert -
So mochten sie dienen,
so gönnte man's ihnen,
so durften sie schlendern
mit Feigheit garniert.
Sie rammten zusammen,
aus Zufall zusammen
auf offener Straße
bei Tage, zu zweit.
Sie hörten sich stammeln
Sie standen in Flammen,
die Liebe, sie drängte,
da kam ihre Zeit.
Als sie sich umarmten,
sich endlich erbarmten,
da brachen die Dämme,
sie spürten ihr Glück.
Der Widerstand lahmte,
die Leidenschaft bahnte
den Liebenden Wege-
es gab kein Zurück.
Mit feurigen Küssen,
in höchsten Genüssen,
genossen sie beide
den ewigen Tanz.
Er lag ihr zu Füßen,
sie ließ es nicht büßen,
sie liebten einander,
verbanden sich ganz.
Wenn zwei sich erkennen,
sich namenlos nennen,
Gedanken erfühlen,
dann weicht alle Not.
Man darf sie nicht trennen,
nicht treiben, nicht hemmen,
dann hält ihre Jugend,
erschreckt sich der Tod.
...und wenn sie nicht gestorben sind
dann Leben sie noch heute?
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